Bitter (Alles strömt vorbei)

Demonstranten gegen die Zentralgewalt (“Fußach-Affäre”), Oskar Spang, Stadtarchiv Bregenz, CC BY 4.0., via Wikimedia Commons

Alles strömt vorbei/vorbei,
den Rhein entlang, hinaus zum See; zu Fischern,
die, wie Zauberer aus Hüten, Zeltstädte aus Ärmeln ziehen;
die Knicklichter auf ihren Ruten leuchten uns nie heim/nie heim; sie ziehen
uns 
hinaus, den feuchten Blick am Flügelsaum von Flussseeschwalben aufgehängt,
wie an verschwitzen Körperteilen, Freunde schneller, sexueller Abenteuer; im Auwald, ihre Liebesnester, selten unbesetzt/verwaist, seitdem ein
 Fluss verloren, ein anderer gewonnen ist. Weithin unsichtbar, die Burg, wo heute, hinter Maschendraht, ein gutes Dutzend Bäume steht. Der hiesige Lokalflughafen; für Bravo-India-Echo-November-Echo-November (Bienen), Hummeln, Fliegen, Käfer, Schmetterlinge und wäre da nicht dieser Zaun, ich träte in ihr Summen ein, hätte bald, eine aus zehntausend Blüten,
ausgewählt und tiefer eingeatmet. Statt Worten (bitter), Moleküle unbekannter 
(aber süßer) Art im Mund, pudrig-gelb, die Nasenspitze; Zum Nektar
schlürfen 
ungeeignet, aber für alle Ewigkeit immun gegen

             (zusammenziehend) Bitterkeit —

Alles strömt vorbei/vorbei,
den Rhein entlang, hinaus zum See; wie Goethe, 
der (von Mailand kommend) sofort wieder weiterreist/weiterreist.
Nur die Nazis sind geblieben. Notgedrungen, Zwangsarbeiter. Wie viele (auf
der Flucht) im Rhein 
ertrunken sind? Im Heimatbuch nachzulesen: Schicksal und Name 
eines Flüchtlings, 
stellvertretend für die andern. Als ob irgendjemand stellvertretend leben oder sterben will! Ausgerechnet hier, die Affäre um ein Schiff, das zum Symbol geworden ist, für Eigenmacht und Widerstand (gegen die Zentralgewalt). Bis heute fährt es kreuz und quer am See herum. Alles strömt vorbei/vorbei, den Rhein entlang, 
hinaus zum See. Und zwischen hier und dort, so viel Blüten-Überschuss;
ü
berall, so berauschend viele Sträucher/Bäume —

             Wie bitter wir sie nötig haben!

 

Noch bevor der Sommer
hier begonnen hat, streift mich, wie kühler Wind,
sein Ende. Schnell, noch einmal Hand auflegen, der greisen, weisen Weide,
die so nah 
am Wasser steht. Zur gleichen Zeit, auf ihren Narben, Freunde und Feinde: Hornissen, Wespen, Wild-und Honigbienen; Allen, die sich hier betrinken, am zuckersüßen Weidensaft, gegen (bleibend)
             Bitterkeit,
 
zum Wohl —

Bitter (Alles strömt vorbei), 2023

Foto: Blick über die Lagune der Fußacher Bucht (Naturschutzgebiet Rheindelta) Richtung Alpen, eigenes Bild, 2023

Anmerkung: dieser Text ist zwar in Landschaft und Geschichte der Vorarlberger Rheindeltagemeinde Fußach eingebettet, bezieht sich aber ganz allgemein auf das “Drama der Provinz”, als ein Verewigen von Verlusten, statt lebensbejahender Neuausrichtung. (Vgl. Provinzialität, als ein andauernden Zustand der Gekränktheit, der sich nicht zuletzt aus Verschwörungstheorien speist; zit. nach Norbert Ricker, via Wiktionary). Die Auswahl historischer Ereignisse entspricht dem Drama selektiver Wahrnehmung und nicht der  Lebensrealität der Menschen, die heute hier leben.  

Hier, das (unvollständige) Verzeichnis historischer Verluste: der Rheindurchstich (1900), der einen Fluss (den neuen Rhein) geschaffen, aber einen anderen zerstört hat (die Fußacher Ache) und damit jenen sicheren Hafen, der den Reichtum der Ortschaft über Jahrhunderte hindurch bedingt hat. Von der ehemaligen Wehr- und Zollburg Fußach ist heute nur mehr ein unscheinbarer Burghügel mit prachtvollen Obstbäumen übrig; Einer der berühmtesten Fahrgäste der Fußacher Spedition “Spehler und Weiss” war Goethe, der am Rückweg seiner ersten Italienreise (1788) in Fußach nächtigt. Mit dem Ausbau der Eisenbahnlinie verlieren alte Handelsrouten (über den See) an Bedeutung. Die häufige Seenot (vor dem Bau der Polderdämme, ab 1959) mindert den Wert der Böden, befeuert die Armut und sehr wahrscheinlich auch die enorme Anschluss- und Nazi-Begeisterung der Fußacher. Später, der Ausschlag des Pendels in die Gegenrichtung: in der sogenannten Fußach-Affäre (1964), die sich an einem Schiff (und seiner Namensgebung) entzündet, wird Fußach zum Symbol des Aufbegehrens der Provinz gegen die Zentralmacht. (Quelle: Heimatbuch Fussach, Band 1, Hrsg. vom Fußacher Dorfgeschichteverein und der Gemeinde Fußach, Fußach 2010) 

Demonstranten gegen die Zentralgewalt (“Fußach-Affäre”), Oskar Spang, Stadtarchiv Bregenz, CC BY 4.0., via Wikimedia Commons

Alles strömt vorbei/vorbei,
den Rhein entlang, hinaus zum See; zu Fischern,
die, wie Zauberer aus Hüten, Zeltstädte aus Ärmeln ziehen;
die Knicklichter auf ihren Ruten leuchten uns nie heim/nie heim; sie
ziehen uns hinaus; den feuchten Blick am Flügelsaum von Flussseeschwalben aufgehängt, wie an verschwitzen Körperteilen, Freunde schneller sexueller Abenteuer. Im Auwald, ihre Liebesnester, selten unbesetzt/verwaist, seitdem ein Fluss verloren, ein anderer gewonnen ist. Weithin unsichtbar, die Burg, wo heute, hinter Maschendraht, ein gutes Dutzend Bäume steht. Der hiesige Lokalflughafen; für Bravo-India-Echo-November-Echo-November (Bienen), Hummeln, Fliegen, Käfer, Schmetterlinge und wäre da nicht dieser Zaun, ich träte in ihr Summen ein, hätte bald, eine aus zehntausend Blüten ausgewählt, und tiefer eingeatmet;
Statt Worten (bitter), Moleküle unbekannter (aber süßer) Art im Mund;
pudrig-gelb, die Nasenspitze. Zum Nektar schlürfen ungeeignet, 
aber für alle Ewigkeit immun gegen (zusammen-
               ziehend) 
Bitterkeit —

 

Alles strömt vorbei/vorbei,
den Rhein entlang, hinaus zum See; wie Goethe,
der (von Mailand kommend) sofort wieder weiterreist/weiterreist.
Nur die 
Nazis sind geblieben. Notgedrungen, Zwangsarbeiter. Wie viele
(auf 
der Flucht) im Rhein ertrunken sind? Im Heimatbuch nachzulesen: Schicksal
und 
Name eines Flüchtlings, stellvertretend für die andern. Als ob irgendjemand  stellvertretend leben oder sterben will! Ausgerechnet hier, die Affäre um ein Schiff, das zum Symbol geworden ist, für Eigenmacht und Widerstand (gegen die Zentralgewalt). Bis heute fährt es kreuz und quer am See herum. Alles strömt vorbei/vorbei, den Rhein entlang, hinaus zum See und zwischen hier und 
dort, so viel Blüten-Überschuss; überall, so berauschend viele Bäume —

             Wie bitter wir sie nötig haben!

 

Noch bevor der Sommer
hier begonnen hat, streift mich, wie kühler Wind,
sein Ende. Schnell, noch einmal Hand auflegen; der greisen, weisen
Weide, die so nah am Wasser steht. Zur gleichen Zeit auf ihren Narben, Freunde und Feinde: Hornissen, Wespen, Wild- und Honigbienen; Allen, die sich hier betrinken, am zuckersüßen Weidensaft, gegen (bleibend)
             Bitterkeit, z
um Wohl! —

Bitter (Alles strömt vorbei), 2023

Foto: Blick über die Lagune der Fußacher Bucht (Naturschutzgebiet Rheindelta) Richtung Alpen, eigenes Bild, 2023

Anmerkung: dieser Text ist zwar in Landschaft und Geschichte der kleinen Vorarlberger Rheindeltagemeinde Fußach eingebettet, bezieht sich aber ganz allgemein auf das “Drama der Provinz”, als ein Verewigen von Verlusten, statt lebensbejahender Neuausrichtung (Vgl. Provinzialität, als ein “andauernder Zustand der Gekränktheit, der sich nicht zuletzt aus Verschwörungstheorien speist”, zit. nach Norbert Ricker, via Wiktionary). Die Auswahl historischer Ereignisse entspricht dem Drama selektiver Wahrnehmung und nicht der Lebensrealität der Menschen, die heute hier leben. 

Hier, das (unvollständige) Verzeichnis historischer Verluste: der Rheindurchstich (1900), der zwar einen Fluss (den neuen Rhein) geschaffen, aber einen anderen zerstört hat (die Fußacher Ache) und damit jenen sicheren Hafen, der den Reichtum der Ortschaft über Jahrhunderte hindurch bedingt hat. Von der ehemaligen Wehr- und Zollburg Fußach ist heute nur mehr ein unscheinbarer Burghügel mit prachtvollen Obstbäumen übrig; Einer der berühmtesten Fahrgäste der Fußacher Spedition “Spehler und Weiss” war Goethe, der am Rückweg seiner ersten Italienreise (1788) in Fußach nächtigt. Mit dem Ausbau der Eisenbahnlinie verlieren alte Handelsrouten (über den See) an Bedeutung. Die häufige Seenot (vor dem Bau der Polderdämme, ab 1959) mindert den Wert der Böden, befeuert die Armut und sehr wahrscheinlich auch die enorme Anschluss- und Nazi-Begeisterung der Fußacher. Später, der Ausschlag des Pendels in die Gegenrichtung: in der sogenannten Fußach-Affäre (1964), die sich an einem Schiff (und seiner Namensgebung) entzündet, wird Fußach zum Symbol des Aufbegehrens der Provinz gegen die Zentralmacht. (Quelle: Heimatbuch Fussach, Band 1, Hrsg. vom Fußacher Dorfgeschichteverein und der Gemeinde Fußach, Fußach 2010)

Demonstranten gegen die Zentralgewalt (“Fußach-Affäre”), Oskar Spang, Stadtarchiv Bregenz, CC BY 4.0., via Wikimedia Commons

Alles strömt vorbei/vorbei,
den Rhein entlang, hinaus zum See; zu Fischern, die, wie Zauberer aus Hüten, Zeltstädte aus Ärmeln ziehen; die Knicklichter auf ihren Ruten leuchten uns nie heim/nie heim; sie ziehen uns hinaus; den feuchten Blick am Flügelsaum von Flussseeschwalben aufgehängt, wie an verschwitzen Körperteilen, Freunde schneller, sexueller Abenteuer. Im Auwald, ihre Liebesnester, selten unbesetzt/ verwaist, seitdem ein Fluss verloren, ein anderer gewonnen ist. Weithin unsichtbar, die Burg, wo heute, hinter Maschendraht, ein gutes Dutzend Bäume steht. Der hiesige Lokalflughafen; für Bravo-India-Echo-November-Echo-November (Bienen), Fliegen, Hummeln, Käfer, Schmetterlinge und wäre da nicht dieser Zaun, ich träte in ihr Summen ein, hätte bald, eine aus zehntausend Blüten, ausgewählt und, tiefer eingeatmet. Statt Worten (bitter), Moleküle unbekannter (aber süßer) Art im Mund; pudrig-gelb, die Nasenspitze; Zum Nektar schlürfen ungeeignet, aber für alle Ewigkeit immun gegen (zusammenziehend) Bitterkeit —

 

Alles strömt vorbei/vorbei,
den Rhein entlang, hinaus zum See; wie Goethe, der (von Mailand kommend) sofort wieder weiterreist/weiterreist. Nur die Nazis sind geblieben. Notgedrungen, Zwangsarbeiter. Wie viele (auf der Flucht) im Rhein ertrunken sind? Im Heimatbuch nachzulesen: Schicksal und Name 

eines Flüchtlings, stellvertretend  für die andern. Als ob irgendjemand stellvertretend leben oder sterben will! Ausgerechnet hier, die Affäre um ein Schiff, das zum Symbol geworden ist, für Eigenmacht und Widerstand (gegen die Zentralgewalt). Bis heute heute fährt es kreuz und quer am See herum. Alles strömt vorbei/vorbei, den Rhein entlang, hinaus zum See. Und zwischen hier und dort, so viel Blüten-Überschuss; überall, so berauschend viele Sträucher/Bäume —  
Wie bitter wir sie nötig haben!

 

Noch bevor der Sommer hier begonnen hat, streift mich, wie kühler Wind, sein Ende. Schnell, noch einmal Hand auflegen; der greisen, weisen Weide, die so nah am Wasser steht. Zur gleichen Zeit auf ihren Narben, Freunde und Feinde: Hornissen, Wespen, Wild- und Honigbienen; Allen, die sich hier betrinken, am zuckersüßen Weidensaft, gegen (bleibend) Bitterkeit, zum Wohl! —

Bitter (Alles strömt vorbei), 2023

Foto: Blick über die Lagune der Fußacher Bucht (Naturschutzgebiet Rheindelta) Richtung Alpen, eigenes Bild, 2023

Anmerkung: dieser Text ist zwar in Landschaft und Geschichte der kleinen Vorarlberger Rheindeltagemeinde Fußach eingebettet, bezieht sich aber ganz allgemein auf das “Drama der Provinz”, als ein Verewigen von Verlusten, statt lebensbejahender Neuausrichtung (Vgl. Provinzialität, als ein “andauernder Zustand der Gekränktheit, der sich nicht zuletzt aus Verschwörungstheorien speist”, zit. nach Norbert Ricker, via Wiktionary). Die Auswahl historischer Ereignisse entspricht dem Drama selektiver Wahrnehmung und nicht der Lebensrealität der Menschen, die heute hier leben. 

Hier, das (unvollständige) Verzeichnis historischer Verluste: der Rheindurchstich (1900), der zwar einen Fluss (den neuen Rhein) geschaffen, aber einen anderen zerstört hat (die Fußacher Ache) und damit jenen sicheren Hafen, der den Reichtum der Ortschaft über Jahrhunderte hindurch bedingt hat. Von der ehemaligen Wehr- und Zollburg Fußach ist heute nur mehr ein unscheinbarer Burghügel mit prachtvollen Obstbäumen übrig; Einer der berühmtesten Fahrgäste der Fußacher Spedition “Spehler und Weiss” war Goethe, der am Rückweg seiner ersten Italienreise (1788) in Fußach nächtigt. Mit dem Ausbau der Eisenbahnlinie verlieren alte Handelsrouten (über den See) an Bedeutung. Die häufige Seenot (vor dem Bau der Polderdämme, ab 1959) mindert den Wert der Böden, befeuert die Armut und sehr wahrscheinlich auch die enorme Anschluss- und Nazi-Begeisterung der Fußacher. Später, der Ausschlag des Pendels in die Gegenrichtung: in der sogenannten Fußach-Affäre (1964), die sich an einem Schiff (und seiner Namensgebung) entzündet, wird Fußach zum Symbol des Aufbegehrens der Provinz gegen die Zentralmacht. (Quelle: Heimatbuch Fussach, Band 1, Hrsg. vom Fußacher Dorfgeschichteverein und der Gemeinde Fußach, Fußach 2010)