Weiter nichts

Eingang Kristallhöhle Kobelwald (Oberriet), eigenes Bild, 2022

Berge, weiter nichts
wie eine Anhäufung von
Steinen, wenig Humus,
Wald, der immer lichter wird, ein erster Vogelruf (noch ist es dunkle Nacht)
und weit entfernt, die echohafte Antwort. Hallo, da draußen? Ist da jemand? Steine, weiter nichts wie Steine, die das Gold der Sonne bunkern. Willst du haben? Kannst du kriegen. Ihre dünne Haut aus Staub umschliesst schlicht alles, was es hier zu wissen
gibt und manchmal mehr, wenn Steine von weit draußen kommen und verglühen,
während wir uns Vieles wünschen. Der
drei-Tage-Bart von Flechten
sollte dich nicht weiter stören (auch wenn Tage Jahre sind),
             der Stein, er lässt dich ein…


Neun Grad im Berg;

nur unterm Helm rinnt Schweiß in kleinen Bächen.
Der Führer reicht uns bis zum Kinn,
huscht vorneweg wie kleines Wild.
Verflucht sei dieser Schrattenkalk,
der uns mit seiner Faust umschliesst, wenn
da nicht die Kristalle wären und ihr
kleiner Hoffnungsschimmer. Ob dort vielleicht ein Durchgang ist? Wände flackern von uralten Rhomboedern. Im ersten Weltkrieg, sagt
der Führer (keine fünfzehn Jahre alt), massenhaft abgebaut und fein zerrieben zu Scheuerpaste aus Calzit.
Wir kommen wieder heil da raus, wir lassen
keinen Dreck zurück, selbst wenn
er uns begräbt und
k
ein Wort zu jenen Mädchen, die man hier
               gefunden hat (erschlagen) —

 

Wenn Steine (reichlich

abgedroschen) wirklich reden könnten?
Aber es sind nur Steine, keine leeren Versprechen; auf ihre rätselhafte
Weise
sagen sie uns alles oder (als Quarzkristall am Handgelenk) immer dasselbe,

wie im Stundenglas der Sand, der Stein war, Stadt war, Meereslebewesen, viele.
Nur Zirkone widerstehen, bleiben, was sie immer waren,

             Steine, weiter nichts.

Weiter nichts, 2022

foto: Blick vom Hohen Kasten Richtung Sämtisersee und Säntis (Alpsteinmassiv), eigenes Bild, 2022

Der Text bezieht sich auf den Kristallhöhlenmord von Oberriet, der in der Schweiz eine Debatte über die Verjährung von Kapitalverbrechen angestossen hat. 2012 wurden die Fallakten geschlossen und alle Asservate vernichtet.

Zirkone gehören zu den frühesten Mineralbildungen der Erde (und des Mondes). Die ältesten Zirkonkristalle sind über 4,4 Milliarden Jahre alt. Vielleicht wird in Zukunft ein geologisches Zeitalter nach ihnen benannt.

An der Stelle ein herzliches Dankeschön an latifolius! (den es sich immer zu lesen lohnt)

Eingang Kristallhöhle Kobelwald (Oberriet), eigenes Bild, 2022

Berge, weiter nichts
wie eine Anhäufung von
Steinen,
wenig Humus, Wald, der immer lichter wird, ein erster
Vogelruf (noch ist es dunkle Nacht) und weit entfernt, die echohafte Antwort. Hallo, da draußen? Ist da jemand? Steine, weiter nichts wie Steine, die das Gold der Sonne bunkern. Willst du haben? Kannst du kriegen. Ihre dünne Haut aus Staub umschliesst schlicht alles, was es hier zu wissen gibt und manchmal mehr, wenn Steine von weit draußen kommen und verglühen, während wir uns
Vieles wünschen. Der
drei-Tage-Bart von Flechten sollte dich
nicht weiter stören (auch wenn Tage Jahre sind),
             der Stein, er lässt dich ein…


Neun Grad im Berg,

nur unterm Helm rinnt Schweiß in kleinen

Bächen.
Der Führer reicht uns bis zum Kinn, huscht vorneweg
wie kleines
Wild. Verflucht sei dieser Schrattenkalk, der uns mit seiner
Faust umschliesst, wenn da nicht die Kristalle wären und ihr
kleiner Hoffnungs-schimmer. Ob dort vielleicht ein Durchgang ist? Wände flackern von uralten Rhomboedern. Im ersten Weltkrieg, sagt der Führer (keine fünfzehn Jahre alt), massenhaft abgebaut und fein zerrieben zu Scheuerpaste aus Calzit. Wir
kommen wieder heil da raus, wir lassen keinen Dreck zurück, selbst
wenn
er uns begräbt und kein Wort zu jenen Mädchen,
           die man hier gefunden hat (erschlagen) —

 

Wenn Steine (reichlich

abgedroschen) wirklich reden könnten?
Aber es sind nur Steine, keine leeren Versprechen; auf ihre
rätselhafte Weise
sagen sie uns alles oder (als Quarzkristall am Handgelenk) immer dasselbe: wie im Stundenglas der Sand, der Stein war, Stadt war, Meereslebewesen, viele. Nur Zirkone widerstehen, bleiben,
             was sie immer waren, Steine, weiter nichts.

Weiter nichts, 2022

foto: Blick vom Hohen Kasten Richtung Sämtisersee und Säntis (Alpsteinmassiv), eigenes Bild, 2022

Der Text bezieht sich auf den Kristallhöhlenmord von Oberriet, der in der Schweiz eine Debatte über die Verjährung von Kapitalverbrechen angestossen hat. 2012 wurden die Fallakten geschlossen und alle Asservate vernichtet.

Zirkone gehören zu den frühesten Mineralbindungen der Erde (und des Mondes). Die ältesten Zirkonkristalle sind über 4,4 Milliarden Jahre alt. Vielleicht wird in Zukunft ein geologisches Zeitalter nach ihnen benannt.

An der Stelle ein herzliches Dankeschön an latifolius! (den es sich immer zu lesen lohnt)

Eingang Kristallhöhle Kobelwald (Oberriet), eigenes Bild, 2022

Berge, weiter nichts wie eine Anhäufung von Steinen, wenig Humus, Wald, der immer lichter wird, ein erster Vogelruf (noch ist es dunkle Nacht) und weit entfernt, die echohafte Antwort. Hallo, da draußen? Ist da jemand? Steine, weiter nichts wie Steine, die das Gold der Sonne bunkern. Willst du haben? Kannst du kriegen. Ihre dünne Haut aus Staub umschliesst schlicht alles, was es hier zu wissen gibt und manchmal mehr, wenn Steine von weit draußen kommen und verglühen,
während wir uns Vieles wünschen. Der
drei-Tage-Bart von Flechten sollte dich nicht weiter stören (auch wenn Tage Jahre sind), der Stein, er lässt dich ein…


Neun Grad im Berg, nur unterm Helm rinnt Schweiß in
kleinen Bächen. Der Führer reicht uns bis zum Kinn, huscht vorneweg wie kleines Wild. Verflucht sei dieser Schrattenkalk, der uns mit seiner Faust umschliesst, wenn da nicht die Kristalle wären und ihr kleiner Hoffnungsschimmer. Ob dort vielleicht ein Durchgang ist? Wände flackern von uralten Rhomboedern. Im ersten Weltkrieg, sagt der Führer (keine fünfzehn Jahre alt), massenhaft abgebaut und fein zerrieben zu Scheuerpaste aus Calzit. Wir kommen wieder heil da raus, wir lassen keinen Dreck zurück, selbst wenn er uns begräbt und kein Wort zu jenen Mädchen, die man hier gefunden hat (erschlagen) —

 

Wenn Steine (reichlich

abgedroschen) wirklich reden könnten? Aber es sind nur Steine, keine leeren Versprechen. Auf ihre rätselhafte Weise sagen sie uns alles oder (als Quarzkristall am Handgelenk) immer dasselbe: wie im Stundenglas der Sand, der Stein war, Stadt war, Meereslebewesen, viele. Nur Zirkone widerstehen, bleiben, was sie immer waren, Steine, weiter nichts. 

Weiter nichts, 2022

foto: Blick vom Hohen Kasten Richtung Sämtisersee und Säntis (Alpsteinmassiv), eigenes Bild, 2022

Der Text bezieht sich auf den  Kristallhöhlenmord von Oberriet, der in der Schweiz eine Debatte über die Verjährung von Kapitalverbrechen angestossen hat. 2012 wurden die Fallakten geschlossen und alle Asservate vernichtet.

Zirkone gehören zu den frühesten Mineralbildungen der Erde (und des Mondes). Die ältesten Zirkonkristalle sind über 4,4 Milliarden Jahre alt. Vielleicht wird in Zukunft ein geologisches Zeitalter nach ihnen benannt.

An der Stelle ein herzliches Dankeschön an latifolius! (den es sich immer zu lesen lohnt)