Die blaue Reiterin

Rosa Bonheur mit einem Stier, Edouard Louis Dubufe, 1857, Musee Delacroix, Paris, via Wikimedia Commons

Ob im berühmten Pferdemarkt
ein Selbstportrait verborgen ist? Die einzige Figur,
die uns dort direkt ansieht, lächelt indirekt (im Schatten ihrer Mütze).
Vielleicht weil
sie sich grade dort befindet, wo man als Frau zu dieser Zeit
unmöglich hingehört: auf den Pariser Pferdemarkt. Sie bleibt ganz ruhig, obwohl der Schimmel neben ihr gerade auszubrechen droht. Ein Brauner steigt, verdeckt den Schimmel, der dadurch nur noch heller strahlt und grade hier,
             ausgerechnet,
eine blaue Reiterin?

 

Man überlasse uns die Masken,
die Korsagen, die Kaskaden kunstvoll ondulierter
Haare, um jenes
(bis zum Äußersten gespannte) Instrument
zu sein, das man in Mußestunden
(also viel zu selten) spielt. Falls wir
dabei zu Schaden kommen
, was (zunehmend verstimmt) passiert, wie man sich
sehr leicht denken kann, bringt uns in die Salpêtriere, wo weltberühmte Ärzte sich
um unsre Leiden kümmern. Man helfe mit bewährten Mitteln (Elektroschocks, Ovarienpressen, was immer man für nötig
hält), während draußen vor
den
Toren (zum Boulevard de l’Hôpitale) die Luft vibriert

             vom Staub der Hufe: Pferdemarkt!

 

So viel Kraft (episch breit),
von sehr beherrscht bis exaltiert, so wie der
Braune, der sich wehrt, während der Pferdewirt die
Peitsche schwingt.
Von so viel Rage angesteckt, bricht dann auch der Schimmel aus (dem Karussell, das sich dreht und dreht) und
fadendünn, die Zügel, die sie alle halten. Wer dieses
Bild leibhaftig sieht, so ein Kritiker euphorisch,
             springt sofort zur Seite —

 

Danke.

Blaue Reiterin, 2022

foto: Der Pferdemarkt (Ausschnitt), Rosa Bonheur, 1852-55, Metropolitan Museum of Art, New York, via Wikimedia Commons

Der Text bezieht sich auf den Pferdemarkt der französischen Tiermalerin Rosa Bonheur (1822-99). Im wuchtigen Ölgemälde (hier in voller Größe), zu dem auch verschiedene Vorstudien und kleinere Versionen gehören, ist (ganz links außen) die Kuppel der Salpêtriere zu sehen, wo gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Hysterie erforscht wurde. Der Kampf um den weiblichen Körper dauert bis heute an.

Rosa Bonheur mit einem Stier, Edouard Louis Dubufe, 1857, Musee Delacroix, Paris, via Wikimedia Commons

Ob im berühmten Pferdemarkt
ein Selbstportrait verborgen ist? Die einzige Figur,
die uns dort direkt ansieht, lächelt indirekt (im Schatten ihrer Mütze).
Vielleicht weil
sie sich grade dort befindet, wo man als Frau zu dieser Zeit unmöglich hingehört: auf den Pariser Pferdemarkt. Sie bleibt ganz ruhig, obwohl der Schimmel neben ihr gerade auszubrechen droht. Ein Brauner steigt,
verdeckt den Schimmel, der dadurch nur noch heller strahlt und
              grade hier, ausgerechnet,
eine blaue Reiterin?

 

Man überlasse uns die Masken,
die Korsagen, die Kaskaden kunstvoll ondulierter
Haare, um jenes (
bis zum Äußersten gespannte) Instrument
zu sein, das man in Mußestunden
(also viel zu selten) spielt. Falls wir
dabei zu Schaden kommen, was (zunehmend verstimmt) passiert, wie man
sich sehr leicht denken kann, bringt uns in die Salpêtriere, wo weltberühmte Ärzte sich um unsre Leiden kümmern. Man helfe mit bewärten Mitteln (Elektroschocks, Ovarienpressen, was immer man
für nötig hält, während draußen vor den Toren (zum Boulevard de l’Hôpitale) die Luft virbriert
               vom Staub der Hufe:
Pferdemarkt!

 

So viel Kraft, episch breit,
von sehr beherrscht bis exaltiert, so wie der
Braune, der sich wehrt, während der Pferdewirt die
Peitsche schwingt.
Von so viel Rage angesteckt, bricht dann auch der Schimmel aus (dem Karussell, das sich dreht und dreht) und
fadendünn, die Zügel, die sie alle halten.
Wer dieses Bild leibhaftig sieht, so ein Kritiker euphorisch,

             springt sofort zur Seite —

 

Danke.

Die blaue Reiterin, 2022

foto: Der Pferdemarkt (Ausschnitt), Rosa Bonheur, 1852-55, Metropolitan Museum of Art, New York, via Wikimedia Commons

Der Text bezieht sich auf den Pariser Pferdemarkt der französischen Tiermalerin Rosa Bonheur. In diesem wuchtigen Ölgemälde (hier in voller Größe), zu dem auch verschiedene Vorstudien und kleinere Versionen gehören, ist (ganz links außen) die Kuppel der Salpêtriere zu sehen, wo gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Hysterie erforscht wurde. Der Kampf um den weiblichen Körper dauert bis heute an.

Rosa Bonheur mit einem Stier, Edouard Louis Dubufe, 1857, Musee Delacroix, Paris, via Wikimedia Commons

Ob im berühmten Pferdemarkt ein Selbstportrait verborgen ist? Die einzige Figur, die uns dort direkt ansieht, lächelt indirekt (im Schatten ihrer Mütze). Vielleicht weil sie sich grade dort befindet, wo man als Frau zu dieser Zeit unmöglich hingehört: auf den Pariser Pferdemarkt. Sie bleibt ganz ruhig, obwohl der Schimmel neben ihr gerade auszubrechen droht. Ein Brauner steigt, verdeckt den Schimmel, der dadurch nur noch heller strahlt und grade hier, ausgerechnet, eine blaue Reiterin?

Man überlasse uns die Masken, die Korsagen, die Kaskaden kunstvoll ondulierter Haare, um jenes (bis zum Äußersten gespannte) Instrument zu sein, das man in Mußestunden (also viel zu selten) spielt. Falls wir dabei zu Schaden kommen, was (zunehmend verstimmt) passiert, wie man sich sehr leicht denken kann, bringt uns in die Salpêtriere, wo weltberühmte Ärzte sich um unsre Leiden kümmern. Man helfe mit bewährten Mitteln (Elektroschocks, Ovarienpressen, was immer man für nötig hält), während draußen vor den Toren (zum Boulevard de l’Hôpitale) die Luft vibriert vom Staub der Hufe: Pferdemarkt!

 

So viel Kraft, episch breit, von sehr beherrscht bis exaltiert, so wie der Braune, der sich wehrt, während der Pferdewirt die Peitsche schwingt. Von so viel Rage angesteckt, bricht dann auch der Schimmel aus (dem Karussell, das sich dreht und dreht) und fadendünn, die Zügel, die sie alle
halten.
Wer dieses Bild leibhaftig sieht, so ein Kritiker euphorisch, springt sofort zur Seite  —

Danke.

Die blaue Reiterin, 2022

foto: Der Pferdemarkt (Ausschnitt), Rosa Bonheur, 1852-55, Metropolitan Museum of Art, New York, via Wikimedia Commons

Der Text bezieht sich auf den Pariser Pferdemarkt der französischen Tiermalerin Rosa Bonheur. In ihrem wuchtigen Ölgemälde (hier in voller Größe), zu dem auch verschiedene Vorstudien und kleinere Versionen gehören, ist (ganz links außen) die Kuppel der Salpêtriere zu sehen, wo gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Hysterie erforscht wurde. Der Kampf um den weiblichen Körper dauert bis heute an.