
Schmeckt Wasser in der Kindheit
süßer? Auch wenn es so viel Kalk enthält, dass
Waschmaschinen streiken? Ich trinke Wasser aus dem Hahn
und höre nachts, wenn ich nicht schlafen kann, die Kläranlage dröhnen.
Dabei kein Mucks vom Alpenrhein. Wir haben ihn fast umgebracht, ich meine
es zu schmecken. Es heißt, es wäre jetzt zum Besten aller, den gefesselten Fluss zu befreien, nicht ganz, was sich von selbst versteht, aber immerhin so weit, dass er sein Korsett nicht sprengt. Die alte Angst vor der Flut, grade hier, wo wir mehr und mehr
zu einer Stadt zusammenwachsen, nur dass wir uns die Vertikale streng verbieten.Himmelwärts, nur Berge oder Kirchturmspitzen. Als ob das Leben, grade hier, sich
nicht ständig neu ausrichtet; ganz nebenbei oder mit großer Geste, wenn der
Fluss das Umland flutet. Im aufgewühlten Wasser, Wälder, durch die
Fische ziehen. Später, unvermeidlich, Bagger. Bald bedecken
Seggen, Schilf und Schösslinge von Weiden dieleergeräumten Karpfenbetten —
Wie schnell sind hundert Jahre
vergangen! Oft war hier kein Mensch zu sehen.
Nur zwischendurch Betriebsamkeit, wie beim Bau der neuen
Brücke oder, wie vor Jahrmillionen, der Geburt der Eintagsfliegen. IhrAufstieg aus dem Wasser, taumelnd, als könnten sie ihr Glück kaum fassen;
zu fliegen, der Sonne entgegen/den glücklich kreischenden Möwen zum Fraß. Und
wer käme nicht? Zum Festival der Weinbergschnecken, wenn nach langer Trockenheit, endlich Regen niedergeht; Während wir noch schlafen, erklimmen sie den Damm (zu vielen). Ihr Fuß gleitet beharrlich dem entgegen, wovon wir nur zu träumen wagen;
frei fließende Erinnerung an eine wahre Königin. Ihr Haus, so eigenartig hell, dabei zerschunden und zerkratzt, wie nach Kriegen. Im Frühjahr die Freude, sie wieder-zusehen (an den immer gleichen Orten), bis sie eines Tages eine neue Route
nimmt. Wir halten sofort an; spüren, eine oder zwei Sekunden, ihr
Dagegenhalten, obwohl das Auto fast zwei Tonnen wiegt.Dann gibt ihr Haus nach —
Verneigung vor dem Widerstand,
vor unbeirrter Fruchtbarkeit. Am Fluss, die Gewissheit,
die Zukunft ist weiblich; wenn es zu begreifen wäre — allseitig frei —
Wie schnell sind hundert Jahre vergangen!
Am Fluss, die Gewissheit, 2023 Foto: Alpenrhein (Hard/Fußach), eigenes Bild 2023
Der Text bezieht sich auf die geplante Aufweitung des Alpenrheins aus Hochwasserschutzgründen und, damit einhergehend, seine ökologische Aufwertung. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die eine Verbesserung aller Gewässer bis 2027 vorschreibt, und der Klimawandel (mit mehr punktuellen Starkregenereignissen bei insgesamt zunehmender Trockenheit) haben dem jahrzehntelang verschleppten Jahrhundertprojekt (“Rhesi“) eine neue Dringlichkeit verliehen.
Weinbergschnecken (Helix pomatia) sind Zwitter, die männliche und weibliche Keimzellen produzieren, ohne sich selbst zu befruchten. Sie benötigen dazu (anders wie verschiedene Eintagsfliegen) einen Partner. (Quelle: Wikipedia)
Über die verschiedenen Arten von Eintagsfliegen (Ephemeroptera), die hier im Mündungsbereich der Flüsse und im Bodensee vorkommen, weiß ich viel zu wenig, aber das Schauspiel ihrer Geburt und Häutung ist einzigartig. Schiffe sind binnen Minuten mit Exuvien bedeckt. Beim Aufstieg der Märzbraunen (?) im Alpenrhein war ich bisher nur einmal (vom Ufer aus) dabei. Welchen Gesetzmäßigkeiten die gemeinsame Geburt und Verwandlung folgen, darüber kann ich nur spekulieren. Das Massenauftreten vom sog. Uferaas (Ephoron virgo) in Vaihingen an der Enz (Baden-Württemberg) im August 2020, ist allerdings sehr gut dokumentiert und veranschaulicht vielleicht am besten, wie grandios sich Leben am Fluss verschwendet. Vgl. Mitteilungen des Entomologischen Vereins Stuttgart, Jg. 55, 28. Dezember 2020

Schmeckt Wasser in der Kindheit
süßer? Auch wenn es so viel Kalk enthält, dass
Waschmaschinen streiken? Ich trinke Wasser aus dem Hahn
und höre nachts, wenn ich nicht schlafen kann, die Kläranlage dröhnen.
Dabei kein Mucks vom Alpenrhein. Wir haben ihn fast umgebracht, ich meine
es zu schmecken. Es heißt, es wäre jetzt zum Besten aller, den gefesselten Fluss zu befreien, nicht ganz, was sich von selbst versteht, aber immerhin so weit, dass er sein Korsett nicht sprengt. Die alte Angst vor der Flut, grade hier, wo wir mehr und mehr zu einer Stadt zusammenwachsen, nur dass wir uns die Vertikale streng verbieten. Himmelwärts, nur Berge oder Kirchturmspitzen. Als ob das Leben,
grade hier, sich nicht laufend neu ausrichtet, ganz nebenbei oder mit großer Geste, wenn der Fluss das Umland flutet. Im aufgewühlten Wasser, Wälder,durch die Fische ziehen. Später, unvermeidlich, Bagger. Bald
bedecken Seggen, Schilf und Schösslinge von Weidendie leergeräumten Karpfenbetten —
Wie schnell sind hundert Jahre
vergangen! Oft war hier kein Mensch zu sehen.
Nur zwischendurch Betriebsamkeit, wie beim Bau der neuen
Brücke oder, wie vor Jahrmillionen, der Geburt der Eintagsfliegen. Ihr
Aufstieg aus dem Wasser, taumelnd, als könnten sie ihr Glück kaum fassen,
zu fliegen, der Sonne entgegen/den glücklich kreischenden Möwen zum Fraß.
Und wer käme nicht? Zum Festival der Weinbergschnecken, wenn nach langer Trockenheit, endlich Regen niedergeht; während wir noch schlafen, erklimmen sie den Damm (zu vielen). Ihr Fuß gleitet beharrlich dem entgegen, wovon wir nur zu träumen wagen. Frei fließende Erinnerung an eine wahre Königin. Ihr Haus, so eigenartig hell, dabei zerschunden und zerkratzt, wie nach Kriegen.
Die Freude im Frühjahr, sie wiederzusehen (an den immer gleichen Orten),
bis sie eines Tages eine neue Route nimmt. Wir halten sofort an;
spüren, eine oder zwei Sekunden, ihr Dagegenhalten,
obwohl das Auto fast zwei Tonnen wiegt.Dann gibt ihr Haus nach —
Verneigung vor dem Widerstand,
vor unbeirrter Fruchtbarkeit. Am Fluss, die Gewissheit,
die Zukunft ist weiblich; wenn es zu begreifen wäre — allseitig frei —
Wie schnell sind hundert Jahre vergangen!
Am Fluss, die Gewissheit, 2023
Foto: Alpenrhein (Hard/Fußach), eigenes Bild 2023
Der Text bezieht sich auf die geplante Aufweitung des Alpenrheins aus Hochwasserschutzgründen und, damit einhergehend, seine ökologische Aufwertung. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die eine Verbesserung aller Gewässer bis 2027 vorschreibt, und der Klimawandel (hier mit mehr punktuellen Starkregenereignissen bei insgesamt zunehmender Trockenheit) haben dem jahrzehntelang verschleppten Jahrhundertprojekt (“Rhesi“) eine neue Dringlichkeit verliehen.
Weinbergschnecken (Helix pomatia) sind Zwitter, die männliche und weibliche Keimzellen produzieren, ohne sich selbst zu befruchten. Sie benötigen (anders wie einige Eintagsfliegen) einen Partner. (Quelle: Wikipedia)
Über die verschiedenen Arten von Eintagsfliegen (Ephemeroptera), die hier im Mündungsbereich der Flüsse und im Bodensee vorkommen, weiß ich viel zu wenig, aber das Schauspiel ihrer Geburt und Häutung ist einzigartig. Schiffe sind binnen Minuten mit Exuvien bedeckt. Beim Aufstieg der Märzbraunen (?) im Alpenrhein war ich bis jetzt nur einmal (vom Ufer aus) dabei. Welchen Gesetzmäßigkeiten die gemeinsame Geburt und Verwandlung folgen, darüber kann ich nur spekulieren. Das Massenauftreten vom sog. Uferaas (Ephoron virgo) in Vaihingen an der Enz (Baden-Württemberg) im August 2020, ist allerdings sehr gut dokumentiert und veranschaulicht vielleicht am besten, wie grandios sich Leben am Fluss verschwendet. Vgl. Mitteilungen des Entomologischen Vereins Stuttgart, Jg. 55, 28. Dezember 2020

Schmeckt Wasser in der Kindheit
süßer? Auch wenn es so viel Kalk enthält, dass Waschmaschinen streiken? Ich trinke Wasser aus dem Hahn und höre nachts, wenn ich nicht schlafen kann, die Kläranlage dröhnen. Dabei kein Mucks vom Alpenrhein. Wir haben ihn fast umgebracht, ich meine es zu schmecken. Es heißt, es wäre jetzt zum Besten aller, den gefesselten Fluss zu befreien, nicht ganz, was sich von selbst versteht, aber immerhin so weit, dass er sein Korsett nicht sprengt. Die alte Angst vor der Flut, grade hier, wo wir mehr und mehr zu einer Stadt zusammenwachsen, nur dass wir uns die Vertikale streng verbieten. Himmelwärts, nur Berge oder Kirchturmspitzen. Als ob das Leben, grade hier, sich nicht laufend neu ausrichtet; ganz nebenbei oder mit großer Geste, wenn der Fluss das Umland flutet. Im aufgewühlten Wasser, Wälder, durch die Fische ziehen. Später, unvermeidlich, Bagger. Bald bedecken Seggen, Schilf und Schösslinge von Weiden die leergeräumten Karpfenbetten —
Wie schnell sind hundert Jahre
vergangen! Oft war hier kein Mensch zu sehen, nur zwischendurch Betriebsamkeit, wie beim Bau der neuen Brücke. oder, wie vor Jahrmillionen, der Geburt der Eintagsfliegen. Ihr
Aufstieg aus dem Wasser, taumelnd, als könnten sie ihr Glück kaum fassen, zu fliegen, der Sonne entgegen/den glücklich kreischenden Möwen zum Fraß. Und wer käme nicht? Zum Festival der Weinbergschnecken, wenn nach langer Trockenheit, endlich Regen niedergeht; Während wir noch schlafen, erklimmen sie den Damm (zu vielen). Ihr Fuß gleitet beharrlich dem entgegen, wovon wir nur zu träumen wagen; frei fließende Erinnerung an eine wahre Königin. Ihr Haus, so eigenartig hell, dabei zerschunden und zerkratzt, wie nach Kriegen. Die Freude im Frühjahr, sie wiederzusehen (an den immer gleichen Orten), bis sie eines Tages eine neue Route nimmt. Wir halten sofort an; spüren, eine oder zwei Sekunden, ihr Dagegenhalten, obwohl das Auto fast zwei Tonnen wiegt. Dann gibt ihr Haus nach —
Verneigung vor dem Widerstand,
vor unbeirrter Fruchtbarkeit. Am Fluss, die Gewissheit, die Zukunft ist weiblich; wenn es zu begreifen wäre — allseitig frei —Wie schnell sind hundert Jahre vergangen!
Am Fluss, die Gewissheit, 2023
Foto: Alpenrhein (Hard/Fußach), eigenes Bild, 2023
Der Text bezieht sich auf die geplante Aufweitung des Alpenrheins aus Hochwasserschutzgründen und, damit einhergehend, seine ökologische Aufwertung. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die eine Verbesserung aller Gewässer bis 2027 vorschreibt, und der Klimawandel (mit mehr punktuellen Starkregenereignissen bei insgesamt zunehmender Trockenheit) haben dem jahrzehntelang verschleppten Jahrhundertprojekt (“Rhesi“) eine neue Dringlichkeit verliehen.
Weinbergschnecken (Helix pomatia) sind Zwitter, die männliche und weibliche Keimzellen produzieren, ohne sich selbst zu befruchten. Sie benötigen (anders wie einige Eintagsfliegen) einen Partner. (Quelle: Wikipedia)
Über die verschiedenen Arten von
Eintagsfliegen (Ephemeroptera), die hier im Mündungsbereich der Flüsse und im Bodensee vorkommen, weiß ich viel zu wenig, aber das Schauspiel ihrer Geburt und Häutung ist einzigartig. Schiffe sind binnen Minuten mit Exuvien bedeckt. Beim Aufstieg der Märzbraunen (?) im Alpenrhein war ich bis jetzt nur einmal (vom Ufer aus) dabei. Welchen Gesetzmäßigkeiten die gemeinsame Geburt und Verwandlung folgen, darüber kann ich nur spekulieren. Das Massenauftreten von sog. Uferaas (Ephoron virgo) in Vaihingen an der Enz (Baden-Württemberg) im August 2020, ist allerdings sehr gut dokumentiert und veranschaulicht vielleicht am besten, wie grandios sich Leben am Fluss verschwendet. Vgl. Mitteilungen des Entomologischen Vereins Stuttgart, Jg. 55, 28. Dezember 2020